Torkapelle Sankt Anna und Sankt Kilian
Evangelische Kilianskirche

Das Kloster Schöntal des Zisterzienserordens verfügte für den Gottesdienst der Familiaren (der weltlichen Klosterangehörigen) und der anderen Arbeitskräfte über eine Kapelle, die neben dem Tor hart an der Mauer lag. Zugang zur großen Klosterkirche hatten nur die Mönche und Konventualen bzw. Laien-brüder. Die Torkapelle war der hl. Anna und dem hl. Kilian geweiht, Priestermönche des Klosters versahen den Gottesdienst.

1497 wird „die kleine Kirche beim Tor“ zum ersten Mal in den Klosterakten erwähnt, und 1511 heißt es, „die Kirche der hl. Anna“ sei wiederhergestellt worden.

Die Kapelle ist allerdings viel älter; ihre Entstehung wird von manchen aufgrund der Ähnlichkeit der Rose in der Chorwand mit der Rose bei der Höllentreppe im Kloster Maulbronn, dem ersten Mutterkloster Schöntals, auf die Jahre 1310/1320 gelegt. Aber auch eine frühere Entstehung, etwa zwischen 1250 und 1300 ist möglich.

Für eine Entstehung der Kapelle erst Anfang des 14. Jahrhunderts spricht jedenfalls, dass in den Jahren davor das Kloster in große wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, während es unter Abt Reinold (1320 – 1365) „zu bisher ungeahntem Wohlstand“ gelangte. Architektonisch bedeutend sind neben der Rose die Kreuzblume auf dem Westgiebel und die vier erhaltenen zweibahnigen Maßwerkfenster mit Sechsblattrosette, von denen jede aus einer einzigen Werksteinplatte gearbeitet ist. Die Balkendecke des Kirchensaals hat flache Felder, die – soweit original – „mit gegeneinander gestellten Backsteinen ausgewölbt“ sind. Die Überleitung zum eingezogenen Chor bildet ein
Triumphbogen, den Chor schmückt ein „Kreuzgewölbe mit kräftigen Birnstabrippen“ und Schlussstein: ein Christuskopf mit schulterlangem Haar wendet sich gegen Westen, woher nach damaligem Glauben das Böse kam (die Kapelle ist geostet). Man zählt die Kapelle „zu den tüchtigsten frühgotischen Bauten unseres Landes“.

Angebaut ist die Kapelle an das früher als „Steinhaus“ und „Fischerturm“ bezeichnete Ensemble (heute evangelisches Pfarrhaus). Ursprünglich war hier der Zugang zum Kloster. Unter Abt Theobald II. Fuchs wird 1620/21 der ganze Bereich einschließlich der Kapelle verändert. Errichtet wird ein äußerer Torturm mit Brücke, ein Gebäude für die Klosterverwaltung (heute Gemeindeverwaltung) und der Dicke Turm.

Der Chor der Kapelle erhält einen Turmaufbau in der damals modischen gotisierenden Bauweise. 1785 wird die nördliche Klostermauer erhöht (damals wurde wahrscheinlich auch die Rose in der Ostwand des Chors zugemauert).

1661 heißt es in einer Beschreibung des Klosters: Drei Türme – „auf der Kapelle der Familiaren, dem Tor und der äußersten Ecke des Klosters dienen dem Schutz und der Zierde“. Damit erklären sich vielleicht die an Schießscharten gemahnenden Schlitzfenster des neu errichteten Ka Kapellenturms. So hatte sich das vonvon kaum von kaum einem der häufieingen Kriege ver schonte Klosterter sogar sogar um 1700 mit vier kleinen Geschützen gewappnet. Über jedem der beiden nördlichen Schlitzfenster ist ein Wappenstein eingemauert, jeweils mit der Jahreszahl der Erbauung 1620. Oben das Wappen von Theobald Fuchs (Abt von Schöntal), unten das Zisterzienser-Wappen. Mit seinem Schildträger, einem bärtigen Mann, hat es eine besondere Bewandtnis. Es handelt sich wohl um ein Porträt von Theobald Fuchs (Abt 1611-1626). Sein um 1650 entstandenes Grabdenkmal in der Klosterkirche ist ganz ähnlich. Darstellung und Habitus ähneln zudem einem doppelten Würzburger Goldgulden von 1579. Er zeigt den hl. Kilian, den Patron des Bistums Würzburg (zu dem das Kloster Schöntal geistlich gehörte), mit den Porträtzügen des Fürstbischofs Julius Echter. Für Abt Fuchs könnte die Darstellungsart übernommen worden sein, mit direktem Bezug auf die dem hl. Kilian geweihte Torkapelle. Der Missionar wurde damals im Bistum besonders herausgestellt als Symbol der ja auch vom Kloster betriebenen Rekatholisierung (so in den dem Kloster zugehörigen Orten Simmringen, Weldingsfelden und Wimmental).

Die Torkapelle war zwei Heiligen geweiht – dem hl. Kilian und der hl. Anna. Der irische Missionar Killena erlitt der Überlieferung nach um 689 in Würzburg den Märtyrertod. Er wird zum karolingischen Reichsheiligen; zum Schutzpatron des neugegründeten Bistums Würzburg soll er – nach der Legende auf Betreiben des „Apostels der Deutschen“ Bonifatius – 752 erhoben worden sein. Kloster Schöntal stand bei seiner Gründung unter dem besonderen Schutz der „Ecclesia Sancti Kiliani“ (Würzburger Bischofsurkunden von 1157 und 1163).

Nach den Zerstörungen und der zeitweiligen Aufhebung des Klosters während des 30-jährigen Krieges wurde der Hochaltar der Klosterkirche 1686 neu geweiht und mit den im zerstörten Altar vorgefundenen Reliquien versehen, darunter einer Kiliansreliquie. Kirchen mit Kilian als Schutzheiligem gibt es viele im früheren Gebiet des Bistums Würzburg; sie sind Zeichen seiner Eigenkirchen oder betonen die Zugehörigkeit zum Hochstift.

Kloster Schöntal selbst hatte seit dem 13. Jahrhundert das Patronat über drei Kilianskirchen – Bieringen, Helmbund (heute Neuenstadt) und Burkheim (heute Osterburken).

Apokrypher biblischer Überlieferung nach hieß die Mutter Marias Anna. Ihre Heiligenlegende verbreitete sich seit dem 13. Jahrhundert; im 15. Jahrhundert erweiterte sich die Marienverehrung auf die Mutter Anna und deren Mann Joachim. Anna wurde zur Volksheiligen, die besonders von Frauen angerufen wurde. Dargestellt ist sie meist als Witwe mit Maria und dem Jesusknaben; aus einem Buch lehrt sie die junge Maria. Auf einem Wandpfeiler-fresco der Klosterkirche ist dargestellt, wie sie Maria vorliest. Auch die kleine Glocke der Klosterkirche ist Anna und Joachim geweiht.

Ob es sich bei den beiden Schutzheiligen der Torkapelle, Kilian und Anna, um ein Doppelpatrozinium handelt, und welches Patrozinium das ältere ist, kann aus den Klosterarchivalien nicht erschlossen werden. Da das Kloster nicht dem Bistumsheiligen geweiht werden konnte, wurde wohl durch eine Übergabe der Kapelle an Kilian der Beziehung zu Würzburg Ausdruck verliehen. Aber auch ein späteres Patrozinium ist möglich, da der hl. Kilian erst an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert Volksheiliger wurde.

Die Geschichtsquellen verraten wenig über die ursprüngliche Ausgestaltung der Kirche: 1680 wird „ein Stück“ des 1585 verfertigten Hochaltars der Klosterkirche in die Torkapelle versetzt. 1688 wird der Eingang aus dem Konventsgarten in die Kapelle „und den erhöhten Gang daselbst“ (die Empore?) mit einem „Austritt“ für Volkspredigten hergerichtet. Der Eingang befand sich wohl in Höhe des neuen ersten Fensters rechts vom Eingang (siehe Grundriss). Wegen des Chorneubaus der Klosterkirche werden beide Friedhöfe an die Klostermauer verlegt. 1711 erfolgt durch Abt Knittel ihre Weihe.

Der kleine Friedhof mit dem Kreuz hinter dem Kapellenchor an der Mauer war für die weltlichen Klosterfamilien und die Priester der Schöntaler Landkirchen bestimmt. Bei der Trockenlegung des Kapellenfundaments 1979 kamen zahlreiche Knochen zum Vorschein. 1720 erhält der Maler Georg Heylmann aus Neckarsulm den Auftrag, „Altar, Kanzel und Borkirche“ (Empore) zu reparieren. 1721 wird „mit Farben illuminiert“. 1787 wird der Gottesdienst in die Klosterkirche verlegt und die Kapelle profaniert.

Von der ursprünglichen Ausstattung erhalten haben sich an der Südwand des Chors die Reste einer Piscina und zwei Nischen (diejenige in der Ostwand vermauert) für liturgische Gegenstände, sowie eine (Tabernakel) Nische im Triumphbogen. Grabsteine aus dem Friedhof erinnern an die Klosterapothekersleute Strobl, sowie an den Klostersyndikus Litter († 1728) und seine Frau. Die Turmspitze hat Turmknopf, reichverziertes Lilienkreuz und Turmhahn, wohl aus der Erbauungszeit des Turms 1620.

Die Kapelle wird Feuerwehrgerätehaus; 1905 restauriert, dient sie doch weiter als Lagerraum. Das um 1930 entstandene Foto zeigt den erschreckenden Zustand des wertvollen Bauwerks; die Rose ist schon fast ganz zerstört. Nach 1933 diente die Kapelle sogar als SA-Heim, und im 2. Weltkrieg als kurzfristiges Lager für sowjetische Kriegsgefangene.

Nach dem Krieg wird sie Lager für das örtliche Baugeschäft und Garage für das erste Auto des katholischen Pfarrers. Ab den 1960er Jahren beginnen Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten durch das Land (Decke, Fußboden; 1970 werden Dachstühle, Dächer und Querbalken des Schiffs erneuert). Eine Replik der Rose wird angefertigt und bündig eingefügt. 1976 wird innen und außen verputzt und gestri-chen. 1977 erhält das Schiff zwei zusätzliche südliche Fenster; der Innenraum wird als evangelische Kirche eingerichtet. 190 Jahre nach ihrer Profanierung wird am 27. März 1977 die Kirche eingeweiht, und 1978 nach einer Spendensammlung die Orgel auf der Empore.

Nach der Auflösung und Einverleibung des Zisterzienserklosters Schöntal 1803 durch Württemberg im Gefolge der napoleonischen Umwälzungen wurde 1803 eine katholische und 1810 eine evangelische Gemeinde eingerichtet. Gleichzeitig verlegte Württemberg auch eine königliche evangelische Seminarschule in das Klostergebäude. Als „Betsaal“ diente bis zur Schließung des Seminars 1975 der große Saal des Klosters im zweiten Stock der Neuen Abtei. Da das Kloster in Landesbesitz ist, läuteten und läuten die Glocken der Klosterkirche auch für den Betsaal und die Kilianskirche.

Aus dem Betsaal wurden in die neue Kirche übernommen der Taufstein und das Kruzifix, das an der Ostwand des Chors angebracht ist. Es wurde vermutlich im 17. oder 18.

Jahrhundert in der Werkstatt der Bildhauerfamilie Som-mer geschaffen. Der Pfarrer der katholischen Gemeinde, Josef Hofmeister (1820/27) stiftete es für den Altar der neuentstandenen evange-lischen Gemeinde. 2012 kam das Kreuz beim Taufstein aus dem Rossacher Betsaal dazu.

Quellen: Gebhardt, Kapellen; Himmelheber, Oberamt Künzelsau; Katalog Kilian, Würzburg; Klaiber, Regesten; G. Lang, Maulbronn; Oberamtsbeschreibung, 1883; Zimmermann, Patroziniumswahl. Reproduktionen von Aufnahmen von: d’Alleux; Kratt; Lindner; v. Klewitz. Originalaufnahmen: Rudolf Schönauer. Baul. Beratung: Hubert Dengel. Verfasser: Hans Lindner